Die Toten besuchen

Den Zentralfriedhof in Wien kann man besuchen, um die „Ehrengräber“ zu besichtigen, um die dortige offizielle Laufstrecke zu testen, die Jugendstil Architektur zu bewundern oder im Kaffeehaus eine Cremeschnitte mit Gräber-Aussicht zu verzehren. Sogar eigene Bienenstämme sind dort ansässig und genießen die Ruhe. Von Falco bis Elfriede Gerstl, Manfred Deix und Johann Strauß bis Ella Lingens, von Jedermännern und Burgtheater Granden bis hin zu Waluliso: Wer hier entlang schlendert, wird aus dem „ah“ und „oh“ Staunen nicht herauskommen.

Joseph Roth hat ihr ein literarisches Denkmal gesetzt und im Theater in der Josefstadt gab es die Uraufführung des gleichnamigen Theaterstücks: In der Kapuzinergruft ruhen die Überreste der gekrönten Häupter der Habsburger und zwar gleich von 150 Häuptern. Direkt vorort oder bei einem virtuellen Rundgang begegnet man Anna von Tirol bis Otto, dem Sohn des letzten Kaisers Karl und das in in zehn verschiedenen Grüften mit teils recht traurigen Geschichten hinter den Persönlichkeiten.

Die Michaelerkirche übersieht man leicht beim Sightseeing, so unauffällig gibt sie sich zwischen der teuren Einkaufsmeile Kohlmarkt, den römischen Ausgrabungen und der Hofburg als Nachbarn. Dabei sieht man dort echte Mumien, offene Särge und gefühlterweise Tonnen von übereinander gestapelten Knochen menschlicher Extremitäten. Nur mit Führung zugänglich, aber lohnenswert spooky.

Unter dem beliebten Stephansdom befindet sich eine ganz eigene Welt, die faktisch ins Reich der Toten führt. Wer eine offizielle Führung mitmacht, wird staunen ob der Weitläufigkeit dieser Totenstadt, die sich direkt unter dem belebten Zentrum der Wiener City befindet. 10.000 Tote in 3.000 Grabkammern finden sich hier – auf dem ehemaligen Friedhof der mittelalterlichen Stadt – nebst den Eingeweiden der Habsburger. Ein schauriger Besuch mit massenhaft aufgestapelten Gebeinen und das ist nur die Spitze des Eisberges: Der allergrößte Teil des unterirdischen Katakombensystems ist für uns nicht zugänglich. 

Die Eingeweide ruhen unter dem Dom, die Körper in der Kapuzinergruft – wen überrascht es da noch, dass die Herzen der Habsburger wieder woanders gelandet sind? Nämlich in der Loretokapelle der Augustinerkirche, mittlerweilen in der „Herzgruft“ genannten Nische in einem eigenen Raum daselbst. 

Wer hier am Friedhof liegt, ist von der Donau als Wasserleiche angeschwemmt worden – ob freiwillig oder unfreiwillig. Die zwischen 1840 und 1940 hier zusammengetragenen Leichen und Leichenteile wurden hier schließlich bestattet. Von den wenigsten konnte man den Namen eruieren – aber manch traurige gefundene persönliche Erinnerungen, die sie mitgetragen hatten, erinnern am Grab an die armen Seelen.